„Die weltweite Zahlungsmoral verschlechtert sich“ lautet der Titel einer Studie von Allianz Trade zur Entwicklung von Betriebskapitalbedarf und Außenstandstagen.
Die Studie stellt dabei fest, dass weltweit alle Branchen von längeren Zahlungsfristen betroffen sind. Für Europa erwartet Allianz Trade einen weiteren Rückgang der Rentabilität und damit einhergehende Zahlungsverschlechterungen. Dieser Trend wird in einer Veröffentlichung von FONDS online professional (23. Mai 2024) für Österreich quasi bestätigt: „Zahlungsmoral in Österreich sinkt stark“. Daraus wird sogleich der Ratschlag abgeleitet: „Lieber gleich kassieren!“
Aber ist das tatsächlich richtig? Es stellen sich zwei zentrale Fragen. Erstens: Ist es wahr, dass die Zahlungsmoral sich in Österreich verschlechtert hat? Zweitens: Ist es sinnvoll und richtig, aus diesem Grund auf Voraus- oder Direktzahlung bzw. sehr kurzen Zahlungszielen zu bestehen?
Zur ersten Frage: In Publikationen wird die Feststellung, dass Zahlungen später eingehen, häufiger (unserer Meinung nach recht oberflächlich bzw. aus Vermarktungsüberlegungen heraus) als Verschlechterung der Zahlungsmoral bezeichnet. Faktisch ist dieser Sachverhalt zunächst aber nichts anderes als eine längere Forderungslaufzeit.
Die Forderungslaufzeit bzw. DSO (Days Sales Outstanding) sagen aber noch nichts darüber aus, ob Lieferanten und Dienstleister ihren Kunden längere Zahlungsziele eingeräumt haben oder ob die Kunden nicht pünktlich, d.h. mit Verzug gezahlt haben. Falls längere Zahlungsziele eingeräumt wurden, stellt sich u.a. die Frage, ob dies auf das Drängen der Kunden (möglichweise wegen fehlender Liquidität) oder auf Initiative der Lieferanten bzw. Dienstleister erfolgt ist, z.B. weil längere Zahlungsziele zur Umsatzsteigerung oder Verbesserung von Marktanteilen – also als Kaufanreize – genutzt wurden.
Selbst dann, wenn die längeren Laufzeiten nicht aus längeren Zahlungszielen, sondern aus einem (zunehmenden) Zahlungsverzug resultieren, deutet das noch immer nicht auf eine Verschlechterung der Zahlungsmoral hin. Zahlungsverzögerungen sind häufig auch eine Folge von Leistungsstörungen auf Lieferantenseite. Falschlieferungen, unvollständige Lieferungen, Qualitätsmängel, Fehler in der Rechnungsstellung, organisatorische Probleme auf Lieferanten und/oder Kundenseite sowie gelegentliche Probleme im Zahlungsverkehr können dazu führen, dass Zahlungen länger dauern.
Und auch dann, wenn Kunden ihre Lieferanten um Stundung oder Valutierung von Rechnungen bitten, wenn sie aufgrund von Liquiditätsengpässen erst später als vereinbart zahlen können, neigen wir dazu, die Bezeichnung „Verschlechterung der Zahlungsmoral“ nicht zu verwenden. Hier hat sich u.M.n. lediglich die Zahlungsfähigkeit geändert. Sofern der Schuldner mit dem Gläubiger vor der vereinbarten Fälligkeit eine entsprechende Zahlungsabsprache trifft, halte ich die Zahlungsmoral sogar für sehr intakt.
Bleibt aber die Frage, ob in Österreich tatsächlich Kundenzahlungen länger dauern als zuvor. Dazu zunächst einmal eine sehr positive Nachricht: Intrum stellt in seinem European Payment Report 2024 fest, dass Kunden im B2B-Geschäft in Österreich durchschnittlich nach 55 Tagen zahlen. Im europäischen Vergleich belegt Österreich damit hinter Irland einen hervorragenden, geteilten zweiten Platz (zusammen mit Slowenien und Ungarn). Zum Vergleich in Deutschland wurden 60 Tage und in Italien 62 Tage (was übrigens exakt dem europäischen Durschnitt entspricht) gemessen.
Der EPR 2024 kommt für Österreich zu dem Ergebnis: „Die Differenz zwischen den angebotenen Zahlungsbedingungen und der tatsächlichen Zahlungsdauer ist ab 2023 relativ stabil.“ Konsumenten (B2C) zahlen durchschnittlich nach 23 Tagen (davon 11 Tage Zahlungsverzug), Geschäftskunden (B2B) nach 40 Tagen (davon 13 Tage Zahlungsverzug) und der öffentliche Sektor (B2G) nach 53 Tagen (davon 18 Tage Zahlungsverzug). Interessant an diesen Zahlen ist auch, dass im B2C- und B2B-Geschäft die durchschnittliche tatsächliche Zahlungsdauer kürzer ist als die durchschnittlich angebotenen Zahlungsziele (hier wirken scheinbar Skontoregelungen als Zahlungsbeschleuniger). Außerdem ist im B2C-Geschäft der Verzug gegenüber 2023 um 1 Tag und im B2B-Geschäft um 3 Tage zurück gegangen. Lediglich im B2G-Bereich liegt die tatsächliche Zahlungsdauer über den vereinbarten Fristen und der Verzug hat gegenüber 2023 um 3 Tage auf 18 Tage zugenommen. (Aus unserer Sicht ein Beleg dafür, dass die geltende EU Zahlungsverzugsrichtlinie tatsächlich ihre Ziele nicht erreicht hat. Eine neue Initiative der EU ist daher folgerichtig. Zum Entwurf der EU Zahlungsverzugsverordnung werden wir an anderer Stelle noch Stellung nehmen.)
Die pauschale Aussage, dass in Österreich Rechnungszahlungen später eingehen, wird durch diese Studie also nicht bestätigt. Andere Studien kommen möglicherweise zu abweichenden Ergebnissen. Damit stellt sich also die Frage, was Credit Manager von solchen Studien halten und wie sie sich in der gegenwärtigen Lage verhalten sollen. Denn eine Lageeinschätzung ist wohl unstrittig: Man kann nicht gerade behaupten, dass die österreichische Wirtschaft „brummt“. Und die deutliche Zunahme der Unternehmensinsolvenzen steht außer Frage.